Die Frau mit der Maske sagt zählen Sie bis zehn.
Eins.
Zwei.
Drei.
Sie wollen mich wohl verarschen! Ich merke überhaupt nix, da müssen Sie nochmal nachlegen, das ist überhaupt nichts drin.
Weißt du, dass mit der Politik, das ist alles schon ganz gut so.
Ich kenne das Gesicht neben mir nicht, oder doch? Sieht irgendwie aus, wie meine Mutter. Aber wo bin ich hier eigentlich? Ich gebe mir große Mühe seriös zu wirken.
Merkel! Tolle Frau.
Das Gesicht drückt meine Hand.
Mir schießen Tränen in die Augen. Grüner Schleim und blassgelbes Wasser läuft aus meinem Mund … vermutlich Magensaft. Ich bin zu schwach, um richtig zu würgen, deswegen lasse ich es einfach laufen. Mund auf, den hochroten Kopf über das Klo gehängt, läuft es einfach. Ich mache trotzdem ein paar Würgegeräusche, die sechs Augen im Nebenzimmer sollen ruhig auch was davon haben.
Zurück im Bett.
Meine Hand wird wieder gedrückt. Eine A4 Seite mit Essensoptionen angestrichen.
Na, was wird wohl leichter wieder auszukotzen? Der Fisch!
Um zwei Uhr nachts verschwindet dann der letzte Narkosenebel. Nichts als Schmerzen.
Ich klingle nach der Nachtschwester. Jetzt werden wieder Hände gedrückt, aber auch weiße Tabletten aus Blisterpackungen.
Muskel zerschnitten. Vermutlich. Passiert.
Ich schlucke die Tabletten.
Danke.
Am nächsten Mittag holt mich mein Freund ab. Durch die Eingangshalle, durch die ich gestern in Stilettos und Seidenbluse reingetänzelt bin, schlurfe ich jetzt von ihm gestützt raus. Schildkrötengang. Schonhaltung sagt der Arzt dazu.
Links und rechts von meinen Brüsten – nein aus meinen Brüsten – fließt Wundsaft und Blut durch dünne Kunststoffschläuche in kleine Kunststoffkanister. Ekelhaft.
Wir platzieren die beiden Kanister auf meinem Schoß und fahren mit dem Peugeot los. Über Kopfsteinpflaster. Mir laufen bei jeder Erschütterung die Tränen. Die Kanister füllen sich.
In meinem Kinderzimmer steht ein großer Spiegel und davor ich. Als gut verpackte, schwer geschlauchte, Schildkrötenversion. Ich drehe mich ins Profil.
Eine Woche. Eine Woche Schmerz und Schildkröte, dann Fäden raus, Spezial-BH an.
Ich drehe mich zurück. Versuche mit den Händen die neue Silhouette zu begreifen. Augen zu, Schläuche wegdenken.
Drei Nächte liegt der rechte Kanister rechts von mir neben dem Bett auf dem Boden und der linke, links, daneben meine Mutter. Auf dem Bett ich. Nein, eher Neu-Ich. Ich und meine neuen Brüste. Ibuprofen zum Abendessen und Träume von wackelnden, hüpfenden, schwingenden Brüsten. Brüste, die man anfassen kann, greifen, so richtig, ohne dabei mit aller Gewalt das Seitenfett mit in die Push-Up BHs oder Tops quetschen zu müssen.
Als die Schläuche gezogen und der Verband gewechselt wird, sehe ich sie zum ersten Mal.
Prall. Zu groß. Die Haut glänzt. Gelblich verfärbt.
Aber meine.
Hallo, ich seid jetzt ich.
Das schwillt noch ab.
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This is an excerpt from my short story “Zwei Berge/Two Mountains” written for
Women Writing Berlin Lab.